So wichtig ist Musik für die kindliche Entwicklung
Ein Gastbeitrag von Beate-M. Dapper
Musik zwischen Nähe und Freiheit
Der Schlüssel jeder Begleitung von Kindern ins Erwachsenenleben ist zugewandte, liebevolle Aufmerksamkeit und das Bewusstsein, dass Sie eine kleine Persönlichkeit mit individuellen Bedürfnissen, Talenten und einer eigenen Zukunft vor sich haben. Gemeinsames Singen verbindet, kleine Fingerspiele schaffen Nähe und das Zusammenspiel mit Rhythmusinstrumenten bringt Sie in Einklang mit Ihrem Kind. Eröffnen Sie ihm von Anfang an ein großes Spektrum an Musik, Klängen und Geräuschen, denn so ermöglichen Sie ihm eine Basis, differenziert mit seiner Umwelt umzugehen und in Resonanz mit dem zu treten, was zu ihm passt. Schließlich kann es einen eigenen Geschmack entwickeln und entscheiden, ob es lieber diese oder jene Musik hört, zwitschernde Vögel oder Motorengeräusche, ein klassisches Konzert oder den aktuellen Popsong. – Nur lassen Sie sich bloß nicht von Außenstehenden den Druck auferlegen, Sie würden Ihr Kind verdummen lassen, wenn Sie es nicht in den Genuss Elementarer Musikerziehung bringen. Wir kommen nämlich so oder so an der Musik nicht vorbei – ob als Hörer oder Macher.
Musik, die gefällt, zählt!
Musik ist ein gutes Mittel, um Emotionen zu entfachen und zu erleben. So ist es nicht verwunderlich, dass Musik, die uns gefällt, zum Beispiel bei Ängsten und Stress nachweislich wirkt. Ist der Verarbeitungsprozess im limbischen System gestört, drehen wir uns im Kreis und wissen nicht mehr weiter. Musik kann die Nervenbahnen wieder frei räumen und sogar neue Wege zeigen. Musik, die uns gefällt, die berührt oder in die Beine geht führt dazu, dass unser Gehirn die heiß geliebten Endorphine ausschüttet und für ein Glücksgefühl sorgt. Die Amygdala, die Verarbeitungsstelle für Emotionen, analysiert das Ganze und speichert die mit dieser Erfahrung zusammenhängenden Informationen und Emotionen im Langzeitgedächtnis ab.
Schon Babys „musizieren“
In diesen wichtigen Jahren (neben den 80 folgenden) bereiten Sie einen Boden für Ihr Kind, auf dem es den vielen kleinen und großen Herausforderungen des Lebens begegnen kann. Ob dieser Boden aus unbeständigem Sandstein und polterndem Geröll besteht, ob er ein fruchtbarer Untergrund für die späteren Bedürfnisse und Talente Ihres Kindes wird oder ob er überfrachtet mit Blumen, Gemüse und Weiterem aus Ihren (!) Vorstellungen wird? Das liegt ganz bei Ihnen. Denn gerade in diesen jungen Jahren haben Babys und Kleinkinder nicht nur ein erstaunliches Wahrnehmungsvermögen, sondern auch eine Kombinationsfähigkeit, auf die das Verhalten in künftigen Lebenssituationen aufbaut. Schon im Mutterleib und in den ersten Wochen können Babys Tonhöhen, Rhythmen, Klänge und Melodieverläufe unterscheiden und einordnen. Ihre Hörfähigkeit ist immerhin schon im Mutterleib nach wenigen Monaten weitgehend abgeschlossen, entwickelt sich jedoch durch die verschiedensten Hörerlebnisse gerade in den ersten drei Lebensjahren kontinuierlich weiter. In dieser sensiblen Phase werden diese Hörerlebnisse auch gedeutet und bewertet. Das Vorsingen und wichtiger noch das gemeinsame Singen und Musik machen in der Familie, in Gruppen oder in Eltern-Kind-Kursen haben prägende Wirkung für das spätere Leben der Kinder.
„Negative Musik“, bedrohliche Stimmen, Geräusche und Lärm belasten
Babys erkennen auf natürliche Weise die Stimmen der Mutter und des Vaters sowie Musik, Klang und Geräusch alltäglicher wie auch besonderer Situationen. – So können zum Beispiel wiederholt streitbeladene Beziehungen zu Angehörigen und Freunden durchaus ein Aspekt für Ablehnung durch das Baby sein, denn es nahm im Mutterleib nicht nur die Stimmen wahr, sondern etwa auch einen erhöhten Blutdruck der Mutter, der auch dem Baby Stress bescherte. Erst mit Eintritt ins Schulalter haben die meisten Kinder für sich herausgefunden, wie sie welche Hörinformationen und allen Zusammenhängen „mit sich selbst vereinbaren können“. Ein wichtige Stufe der Identitätsbildung ist somit erfolgt. „Musizieren“ sie mit Ihrem Baby und Kleinkind, sooft es geht: Sprechen, lachen, singen, Grummelsituationen gut ausgehen lassen und vieles mehr. All das, was eine gesunde Verknüpfung von Hörbarem, Sichtbarem, Bewegung und Ruhephasen bietet, schafft einen Boden, den Ihr Kind schließlich in der wichtigen Kombination mit sich SELBST bepflanzen kann
Und später? Musikangebote – ein erster Ansatz
Wenn Ihr Kind in die Kita kommt, werden Sie erfahren, dass die Musik Bestandteil aller Bildungs- bzw. Orientierungspläne ist. Aber es gibt darüber hinaus auch vielfältige Musikangebote für Babys (mit Eltern) bis zum Schulalter. Musikkindergärten, verschiedenste Initiativen bis hin zur Musikalischen Früherziehung (MFE) bzw. Elementaren Musikerziehung (EMP) bereichern den Markt. Universitäten schreiben Fortbildungskonzepte für ErzieherInnen. Stiftungen bemühen sich um den „Wert der Musik“ und unzählige weitere Möglichkeiten bieten zertifizierte Weiterbildungen. – Da verlieren viele Eltern, die das Passende für ihr Kind suchen, schnell den Überblick. Gehen Sie einfach in die nächste öffentliche oder private Musikschule, Familienbildungsstätte, kirchliche oder andere Bildungseinrichtungen und erkundigen Sie sich vor Ort. Lassen Sie sich von der Vielfalt der Unterrichtskonzepte nicht verunsichern. Am Ende bieten sie alle das Singen, Hören, Rhythmusspiel, Tanzen und Bewegen, szenische Spielformen, das Ausprobieren verschiedener Instrumente im sozialen Kontext einer Gruppe an.
Musik, weil sie zu unserer Natur gehört
Seien Sie vorsichtig, wenn Sie auf Versprechen treffen, die den Wert der Musik in allem Möglichen sehen, aber nicht in der Musik selbst (Musik macht intelligent, Musik fördert das Sprachvermögen, Musik lernt Ihr Kind schneller Lesen, Schreiben, Rechnen …). Dass wir uns wohlfühlen und Spaß haben dürfen, gehört nämlich oft nicht unbedingt zum Leistungsdenken in unserer Gesellschaft und treibt zweifellos schon in Kindergärten und Grundschulen fragwürdige Blüten. Natürlich fördert die Beschäftigung mit Musik eine gute Sprachkompetenz. Und klar, dass Bewegung zur Musik eine gute grobmotorische Förderung ist. Und sicher sind Fingerspiele für feinmotorische Abläufe durchaus positiv. Aber das tun Vorlesen, Fußball und Malen auch. In unserer Gesellschaft unterscheiden wir oft „nur noch“ zwischen Wissen=Realität und Emotion=Irrationalität. Mit Pisa & Co, deren Ergebnisse mittlerweile auch Auswirkungen auf Vorschule und Kindergarten haben, pressen wir Kinder immer mehr in die reine Wissenserziehung.
Entscheidend: Ihr Kind fühlt sich beim Musizieren in der Gruppe wohl
Behalten Sie den Blick auf Ihr Kind gerichtet statt auf all die Fachrichtungen, Fördermöglichkeiten und wissenschaftlichen Erkenntnisse. Für Kurse ohne Eltern (ab ca. 3 Jahre) gibt es – neben ein paar kleinen Wichtigkeiten wie …
• die Gruppengröße (höchstens 8-10)
• die Raumbeschaffenheit
• ausreichende und vielfältige Möglichkeiten des Instrumentalspiels zum Ausprobieren
• eine gute Kommunikation zwischen Lehrkraft und Eltern
• Tipps und Material zum Weiterspielen zu Hause
• eine inhaltliche Planung der Stunden, die Sie sich ansehen können
• ein Lehrwerk (z. B. Musikgarten, Murmel, Musikfantasie etc.), das Sie „begleiten“ können
… nur einen Wert, der für Sie ausschlaggebend sein sollte: Das Wohlgefühl Ihres Kindes in der Gruppe.
Bildung mit und durch Musik umfasst die ganze Person
In der Regel wird Ihr Kind schon durch ein natürliches und vielfältiges Angebot ein offenes Verhältnis zu verschiedener Musik finden, Ausdrucksmöglichkeiten des Körpers erproben, sprachliche Elemente differenziert erleben, Atmung und Körperhaltung bewusst erleben und in Sprache, Bewegung und Gesang umsetzen, Bewusstsein für verschiedene Klangfarben, Tonstärken und Tonhöhen fördern sowie diese Tonelemente differenzieren können, den Unterschied zwischen Musikmachen (Aktivität) und Musikhören (Passivität) erleben. Darüber hinaus wird Ihr Kind bewusster in der Wahrnehmung eigener und fremder Emotionen, die Sinne werden ganzheitlich angesprochen. Die grob- und feinmotorische Entwicklung wird unterstützt. Das Bewusstsein wird durch die Musik, gemeinsames Singen, Tanzen, Spielen, Hören … und durch differenziertes „aufeinander achten“, in den verschiedenen sozialen Entwicklungsprozessen gefördert.
Ein Wort zum Schluss
Schön ist es, wenn Ihr Kind durch die Berührung und Beschäftigung mit der Musik die Musik lieben gelernt hat. Und vielleicht hat es sogar gelernt, die erfahrenen musikalischen Inhalte in einen sozialen Zusammenhang zu bringen und zu nutzen. Und sollte aus ihm selbst motiviert der Wunsch entstehen, selbst ein Musikinstrument erlernen zu wollen, ist das wunderbar … aber nur dann!
Beate-M. Dapper – www.musik-redaktion.de